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.zungsberichte

phiseh- philologischen

storisehen Klasse

<ademie der Wissenschaften

zu M.ünchen.

lahrgang 1904.

München 'ler K. Akademie

der

und der

der

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3-3/^

Sitzungsberichte

der

philosophisch -philologischen

und der

historischen Klasse

der

K. B. Akademie der Wissenschaften

zu M.ün.chen.

Jahrgang 1904.

München

Verlag der K. Akademie 1905.

ln Komzuüwion des G. Franz'nchen Verlags (J. Roth).

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Akademisch« Buchdruckerei von F. Straub in München.

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Inhaltsübersicht.

I. Sitzungsberichte.

Seit.

2. Januar: Muncker; v. Rockinger, Pöhlmann . 1

6. Februar: Krumbacher; Prutz 93

6. März: Schlagint weit, Meiaer; Kiggauer, Doeberl 189

Öffentliche Sitzung am 14. März: Ansprache des Präsidenten v. Heigel (Thereiauoa - Fonds. Zographos - Fonds), Nekrologe (Köhler, Mommaen; v. Hef ner - A 1 teneek.

Mühlbauer), Festrede von Pringsheim 271

7. Mai: Herbig, Wecklein, Sandberger; v. Rockinger,

Quidde 278

4. Juni: Cruaiu9; Traube, Grauert, v. Keber 357

2. Juli: Torp und Herbig, Schlagintweit, Schmidt, Furt*

wängler; Traube, Brentano .... 3GO

5. November: v. Amira; Riehl, Simonsfeld .... 621

Öffentliche Sitzung am 12. November: Ansprache des Präsidenten v. Heigel (Hardv-Stiftung). Wahlen (Vablen, v. Wila- mowiti-Moellendorff, Omont, Windelband, Braune, Thomsen; Kiggauer, Preuss, Goetz, v. Below, Vicomte d'Avenel. Monaci), Festrede von J. Friedrich 523

3. Dezember: v. Hertling; v. Heigel 532

II. Abhandlungen.

R. Pöhlmann: Zur Geschichte der antiken Publicistik 3

F. Muncker: Dramatische Bearbeitungen des .Pervonte“ von

Wieland ........ .81

H. Prutz: Die exernte Stellung des Hospitaliter Ordens. Ihre

Entwickelung, ihr Wesen und ihre Wirkungen . 95

K. Meiaer: Kritische Beiträge zu den Briefen des Rhetors Alkiphron 191 F.. Schl agin t weit : Verzeichnis der tibetischen Handschriften der

Königlich Wfirttembergischen Landesbibliothek zu Stuttgart 245

145593

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IV

I nhaltsübersicht .

Seit«

G. Herbig; Vorarbeiten zum Corpus inscriptionum etrusearum. Ein

Reisebericht 283

A. Saudberger: über eine Messe in Cmoll, angeblich von

W. A. Mozart 297

K. Krumbacher: Eine neue Handschrift des Digenis Akritas.

(Mit zwei Tafeln) 309

A. Furtwängler: Zu früheren Abhandlungen. I. Zu den mara-

tbonischen Weihgeschenken der Athener in Delphi. II. Zn den Tempeln der Akropolis. III. Zum Tropaion von Adam- klissi. Anhang zu I. Zum platüischeu Weihgeschenk in

Delphi. (Mit Abb. im Text) 365

F. v. Heber: Die Korrespondenz zwischen dem Kronprinzen Ludwig

von Bayern und dem Galeriebeamten G. Dillis. (Mit einer

Tafel) 419

A. Torp und G. Herbig: Einige neugefundene etruskische In- schriften. (Mit vier Tafeln) 489

G. Frhr. v. Hertling: Augustinus - Citate bei Thomas von Aquin 535

III. Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften 1*— 54*

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Sitzungsberichte

der

Königl. Bayer. Akademie der Wissenschaften.

Sitzung vom 2. Januar 1904.

Philosophisch-philologische Klasse.

Herr Munckek spricht (in Ergänzung zu Sitzungsberichte 1903, S. 121 ff.):

Über dramatische Bearbeitungen des „Pervonte“ von Wieland.

Neben verschiedenen Opern- und Schauspieldichtungen, die nur scheinbar mit Wielands Märchen Zusammenhängen, wurde besonders Kotzebues mehrfach komponierter Operntext von 1814 genauer auf seine Abhängigkeit von Wielands Dar- stellung untersucht.

Derselbe spricht ferner:

Über ein ige Romanzen Heines.

Das Verhältnis Heines zu seinen Quellen, die Selbständig- keit seiner Auffassung und künstlerische Freiheit in seiner Neugestaltung des überlieferten Stoffes wurde an mehreren seiner Romanzen, die ihren Inhalt teils dem Alten Testament, teils mittelalterlichen Sagen entnehmen, gezeigt und daneben auf einige Nachbildungen seiner Balladen in der späteren dramatischen und epischen deutschen Dichtung (bei Richard Wagner, Alfred Meissner, Ludwig Ganghofer) hingewiesen.

1904. Sitzgsb. d. pbilos.-pbilol. u. d. hilft. Kl. 1

9

Sitzung vom 2. Januar 1904.

Historische Klasse.

Der Klassensekretär legt vor den zweiten Teil der Ab- handlung des Herrn von Rockinoeb:

Deutschenspiegel, sogenannter Schwabenspiegel, Bertholds von Regensburg deutsche Predigten in ihrem Verhältnisse zu einander.

Steht das Ergebnis der ersten Hälfte der Untersuchung, soweit es sich um das zweite Rechtsbuch handelt, dass dieses von Berthold, wie in seinen früheren Predigten der Deutschen- spiegel, so in deu späteren verwertet worden, dass es demnach vor seinem Hinscheiden am 14. Dezember 1272 in Umlauf ge- wesen ist, in entschiedenem Widerspruche mit der in den Grund- rissen und Lehrbüchern der deutschen Rechtsgeschichte ver- breiteten Annahme seiner Entstehung erst in den Jahren 1274 oder 1275, so soll in der zweiten Hälfte gezeigt werden, dass es keinerlei Halt für die Möglichkeit einer Abfassung des Rechtsbuchs in den bezeichneten Jahren gibt. Es steht dies auch in vollkommenem Einklänge damit, dass es mehr oder weniger vor Mitte Dezember 1272 als äusserster Endgrenze zur Benützung Vorgelegen, also in der Zeit des sogenannten Interregnum, wohl in den ersten Jahren der Herrschaft des Königs Richard.

Herr Pöhlmann hält einen Vortrag:

Zur Geschichte der antiken Publicistik. Zweiter Teil.

Die Abhandlung sucht durch eine umfassende historische und politische Analyse nachzuweisen, dass die aus dem Alter- tum erhaltenen Denkschriften ,An Cäsar1, mögen sie nun ein publieistisches oder rhetorisches Erzeugnis sein, als Quelle für die Erkenntnis des Ideengehaltes und des Geistes der Publi- cistik der Übergangszeit von der Republik zum Cäsarismus eine Bedeutung besitzen, die man bisher verkannt hat.

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Zur Geschichte der antiken Publicistik.

Von llobert l’öhlmaun.

(Vorgetragen in der histor. Klasse am 7. Nov. 1903 und 2. Jan. 1904.)

I.

Die Überlieferung Uber die welthistorische Krisis, in der die römische Republik zusammenbrach und der Sieg des Cä- sarismus sich entschied, enthält für uns eine empfindliche Lücke. W as die spätere Geschichtschreibung aus den verlorenen Ori- ginalquellen über die Zeit unmittelbar vor dem Staatsstreiche Cäsars mitteilt, zeugt von wenig Verständnis für das innere Leben der sterbenden Republik. Das Hauptinteresse der er- haltenen Literatur konzentriert sich auf die Persönlichkeit der Akteure in dem grossen Drama, auf das wechselvolle Spiel der Intriguen, Interessen und Leidenschaften, sowie auf die Ent- scheidungen des Schlachtfeldes. Was die gewaltige Gärung der Epoche an politischen und sozialen Ideen, an reformato- rischen Gedanken zu einer Neugestaltung von Staat und Ge- sellschaft erzeugt hat, das tritt in der Überlieferung ebenso zurück, wie in den Motiven der Machthaber, für die ja im letzten Grunde auch nicht politische Prinzipien im höheren Sinne des Wortes das Entscheidende waren.1)

•) Cicero ad Att. VII, 3, 4: de sua potentia dimicant homines hoc tempore periculo civitatis. Ebd. VIII, 11, 2: dominatio quaesita ab utroque est, non id actum, beata et honesta civitas ut esset, . . . neutri oxo.yös est ille, ut nos beati simus: uterque regnare vult. Vgl. Nissen,

1*

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Rofxrt PMmann

Typisch für dies l berwiegen der persönlichen über die politischen Gesichtspunkte sind die Denkwürdigkeiten Cäsars. Sie führen, ohne sich irgendwie mit Prinzipienfragen aufzu- halten, unmittelbar in das Thema ein. das Mommsen als »die Rechtsfrage zwischen Cäsar und dem Senat4 bezeichnet hat. Die Katastrophe, welche die Erhebung Cäsars über die Re- publik heraufbeschwor, erscheint für ihn in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gegen persönliche Feinde. Was er später gelegentlich über die Wiederherstellung der von der herrschenden Oligarchie unterdrückten Volksfreiheit hinzufügt.1) hat lediglich dekorative Bedeutung. Aber auch sonst tritt in der Publicistik und der Schriftstellerei der Epoche überhaupt dies persönliche und individuelle Moment sehr charakteristisch hervor. Ich erinnere nur an die Korrespondenz Cicero«, an seine frein literarische) zweite Philippika, an das wenn nicht gleichzeitige, so doch der Zeit nahestehende pseudosallustische Pamphlet gegen Cicero,*) sowie an die erhaltenen Angaben über den Inhalt verlorener politischer Pamphlets*) und be-

Der Ausbruch de* Bürgerkrieges 49 v. Chr. Hist. Zeitschr. Bd. 44, S. 4 IG. Auch Seneca teilt die genannte Ansicht; ep. 14. 13 sagt er im Hin- blick auf die Politik Catos: iam non agitur de libertate: olim pessum data est. quaeritur utrum Caesar an Pompeiu* possideat rempublicam.

*) B. c. I, 22.

2) Vgl. Reitzenstein, Pseudosallustische Invective gegen Cicero. Hermes 33 (1898). H. Wirz, Sallustius in Ciceronem; ein klassisches Stück Anticicero. Festgaben zu Ehren Biidingers 1898. S. 89 ff. Scholl, Zu Pseudosallusts lnvectiva. Rhein. Mus. 1902. S. 159 ff. Peiser, De invectivis, quae Sallustii et Ciceronis nominibus feruntur. Posen Pro- gramm 1903.

*) Wie z. B. die Flugschrift Ciceros gegen Clodius und Curio, so- wie die Flugschrift Curios gegen Cllsar. S. 0. E. Schmidt, Flugschriften aus der Zeit des 1. Triumvirates. Neue Jahrb. f. d. klass. Altert. 1901, S. 620 ff. Vgl. auch die Lobschrift Ciceros auf Cato und die Invectiven gegen Cato, wie z. B. die des Hirtius und Cäsars Anticatones, welch’ letztere der Scholiast zu Juvenal Sat. VI, 338 als .libros furiosissimos' bezeichnet. Vgl. Cicero ad Att. Xll, 4, 1 und 40, 1. Plutarcb, Cato minor 54. Gellius, Noct. Att. IV, 16. Weiteres Material s. bei H. Peter, Die geschichtliche Literatur über die römische Kaiserzeit bis Theodo- sius I. Bd. 1. 163 ff.

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Zur Geschichte der antiken Puhlicistik.

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sonders jener Flugschriften in Briefform, deren sich die Par- teien mit besonderer Vorliebe bedienten, um ihren Hoffnungen, Wünschen und Leidenschaften Ausdruck zu geben.1)

Und doch wissen wir, dass gerade die Agonie der Re- publik, welche die bange Frage, was wohl aus dem Chaos sich gestalten möchte, jedem Denkenden aufdrängte, zu einem über- aus lebhaften Meinungsaustausch über die Grundfragen der Politik geführt hat. Aber gerade diese Richtung der da- maligen Puhlicistik ist abgesehen von den Schriften Ciceros in der erhaltenen Literatur nicht mehr vertreten. Und selbst von Cicero fehlt uns gerade das Wichtigste aus der Zeit der Krisis. Wir hören wohl von einer politischen Denkschrift Ciceros für Cäsar, aber diese Schrift ist infolge der absprech- enden Kritik einiger Cäsarianer von dem Verfasser noch vor der Absendung unterdrückt worden.1) Und wir haben keinen anderen Ersatz, als die bekannten an Cäsar gerichteten Pam- phlets,*) die sich in einer alten Chrestomathie neben Briefen und Reden aus den Werken Sallusts erhalten haben, und als deren Verfasser lange Zeit kein anderer galt als eben der Ge- schichtschreiber selbst. Wenn diese Ansicht begründet wäre, wenn wir Denkschriften Uber die Lage des Staates aus der Feder eines der hervorragendsten Geister der Zeit besässen,

*) Cicero, Ad Att. VIII. ‘2, 1 und 9, 1. S. H. Peter, Der Brief in der römischen Literatur. Abhandl. der Stieb». Ges. d. Wie*. 1901. Bd. 20, S. 214 ff.

*) Ad Att. XII, 40, 2. XIII, 26, 2 und 27, 1; vgl. 30, 2 mit der von Tvrell hergestellten Lesart.

*) Ich gebrauche den Ausdruck .Pamphlets' filr beide Schriftstücke, obwohl das erste möglicherweise als Rede gedacht ist. Wenn es Jor- dan in seiner Ausgabe ohne weiteres als solche bezeichnet, so ist da» allerdings in dem Inhalt des Pamphlets nicht begründet. Die Worte C. 1, 9 ergo omnes magna mediocri sapientia res liuc vocat, quae qnis- que optuma potest utei dicant; und 8, 8 non peius videtur pauca nunc de facto meo disserere. sind keineswegs so unzweideutig, wie er an- nimmt. So könnte man auch in einem Sendschreiben sich nusdriieken. Vgl. Jordan, De suasoriis ad Caesarein senem de re publica inscriptis 1868, S. 3.

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Robert Pöblmann

eines Mannes, der inmitten der grossen Krisis selbst in den leidenschaftlichen Kämpfen des Forums als Volkstribun in der vordersten Reihe der Streiter stand und seinen unversöhnlichen Hass gegen die regierende Oligarchie mit schimpflicher Aus- stossung aus dem Senate zu büssen hatte, so würden wir Stimmungsbilder aus dem Todeskampf der Republik besitzen, die schon als solche von höchstem Interesse wären.

Leider hat sich nun aber dieser scheinbare Ueberrest zeit- genössischer Publicistik unter der Hand der moderner Kritik sozusagen in Nichts verflüchtigt.

So hat man zunächst zu erweisen versucht, dass schon die Alten und insbesondere der Redaktor der genannten Chresto- mathie die beiden Schriftstücke nicht für sallustisches Gut an- gesehen haben. Eine Ansicht, deren Begründung allerdings nicht zwingend ist.1) Denn wenn man z. B. geltend macht,5) dass der Redaktor die Pamphlets als eine , getrennte anonyme Sammlung* behandelt hat, so lässt sich dagegen ein wenden, dass dieselben gar nicht anders als getrennt von den anderen, sallustischen Stücken behandelt werden konnten, da sie ja weder unter die ,excerpta de bellis* (d. h. Catilina und Ju- gurtha), noch unter die .excerpta de historiis* gehörten. Und was die .Anonymität* betrifft, so verfuhrt unsere einzige Handschrift3) in Bezug auf die Benennung der Exzerpte so wenig genau und folgerichtig, dass z. B. die ,excerpta de bellis* ebenfalls ohne Vorsetzung eines Autornamens gegeben werden, also auch zunächst , anonym*, obwohl dann am Schluss, sowie an der Spitze der folgenden ,exeerpta de historiis* der Name Sallusts genannt wird. Eine Nachlässigkeit, die es uns nicht gestattet, aus dieser einen Handschrift sichere Schlüsse auf die Stellung des alten Sammlers zur Autorenfrage zu ziehen, da eben bis zu ihm keine Überlieferung zurückreicht.

l) Gegen die von Hartung, De S&llusti epistoli« ad Caesarera senem Halle 1874 angeführten Gründe 8. Hellwig, De genuina Sallusti ad Cae- sarem epistola cum incerti alicuiua suasoria iuncta. Leipzig 1873, S. <».

*) Hauler, Zur Sallustkritik. Wiener Studien, Bd. 17, 1896, S. 130.

3) Vat. 38G4.

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Zur Geschichte der antiken Puhticisttk. I

Doch sei dem wie ihm wolle! Soviel ist gewiss: die längst bezweifelte Autorschaft Sallusts gilt gegenwärtig als definitiv ausgeschlossen. Ein Ergebnis, das ein paar vereinzelte Ret- tungsversuche1 * *) nicht zu erschüttern vermochten.

Auch das Werturteil über den Inhalt pflegt das denkbar ungünstigste zu sein. Man sagt, als wertloses Rhetorenmach- werk würden die Schriften schon dadurch charakterisiert, dass die in ihnen enthaltenen politischen und sozialen Reformideen unpraktisch, unreif und trivial,*) die erwähnten geschichtlichen Tatsachen teilweise ebenfalls trivial, teilweise offenkundig falsch seien,*) oder man gibt zwar ein gewisses Mass von geschicht- licher Kenntnis zu, sieht aber in der Art und Weise, wie die- selbe sich üussert, einen untrüglichen Beweis dafür, dass die Pamphlets in einer Zeit verfasst sein müssten etwa gegen Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. , die der Epoche Cäsars und Sallusts schon sehr ferne stand.4) Ergebnisse, die die Hoffnung auf irgendwelche nennenswerte historische Ausbeute so gut wie aussichtlos erscheinen lassen und in der Tat dazu geführt haben, dass die Geschichtschreibung und Forschung die beiden Sehriftchen fast völlig zu ignorieren pflegt.*)

l) Von Spandau, Eine Salluststudie. Bayreuth 1869, der beide Sehriftchen, und Hellwig a. a. 0.. der wenigstens das zweite als echt erweisen wollte. Die von E. Hauler a. a. O. erwähnte Schrift von Pajks (Progr. d. Franz Josephs-Gynin. 1893/4), welche die beiden .Suasorien* wieder Sallust zuschreibt, ist mir nicht zugänglich gewesen.

*) So H. Peter a. a. O., S. 175.

*) So Teuffel, Sallust und Tacitus. Tübingen 1868, S. 13. Günstiger urteilt wenigstens über das zweite Pamphlet Schenkl in seiner Besprech- ung der Schrift Jordans. Zeitachr. f. österr. Gymn. 1871, S. 672.

4) Jordan a. 0., S. 23.

*) Erst in allerneuester Zeit scheint sich eine Wandlung zu voll- ziehen. Vgl. die mir erst nach Abschluss dieser Untersuchung zuge- kommene schöne Schrift von F. Cauer, Ciceros politisches Denken, S. 131, der den Verfasser der Pamphlets einen .wohlmeinenden und weitblicken- den Monarchisten1 nennt, der ,die Schäden von Staat und Gesellschaft klar erkannt* habe. Allerdings konnte Cauer an dieser Stelle nicht weiter auf die Frage eingehn.

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Uobert Pöhlmann

Sollte aber das Problem wirklich so einfach liegen und mit den konventionellen Formeln und Schablonen lösbar sein, mit denen man hier gearbeitet hat?

Der Historiker kann nicht den Anspruch erheben, auf dem Gebiete der Sprach- und Stilkritik ein entscheidendes Wort mit/.ureden; aber gegenüber der doktrinären Sicherheit, die in der üblichen Behandlung unseres Problems überall zu Tage tritt, dürften ihm einige Fragezeichen wohl gestattet sein. Man sagt, der oder die Verfasser der Pamphlets seien schon deshalb in den Reihen später Rhetoren, etwa der archaisierenden Fron- tonianer zu suchen, weil das , antike Kolorit* (color antiquus) ihrer Schreibweise ein noch intensiveres ist, als das der Sallu- stischen. Sallust werde hier durch einen Hyperarchaismus noch Uberboten, der doch andererseits nicht habe verhindern können, dass gelegentlich eine moderne Form mitunterlief, die das jün- gere Rhetorengesicht hinter der altertümlichen Maske deutlich verrate.1) Schade nur, dass bei dieser Rechnung ein Faktor ausser Ansatz bleibt, der für die Beurteilung der sprachlichen Anachronismen und der altertümlichen Färbung der Sprache sehr ins Gewicht fallt, die Überlieferung der Texte. Wenn man berücksichtigt, wie ungleich mehr die sprachliche Form der durch die Hände zahlloser Abschreiber gegangenen Ge- schichtswerke Sallusts dem Schicksal der Modernisierung aus- gesetzt war, so wird man an der altertümlichen Schreibweise der beinahe in Vergessenheit geratenen Pamphlets an sich kaum einen Anstoss nehmen können. Und warum soll andererseits wieder der Text der Pamphlets gegen die Gefahr gefeit ge- wesen sein, dass der Feder eines Abschreibers eine jüngere Form entschlüpfte, die dem ursprünglichen Text fremd war? Wie oft kommt es auch in guten Handschriften vor, dass ori- ginale Wortformen den vulgären geopfert werden!*) Wie kann da die einseitige Vergleichung der überlieferten Texte einen

') Jordan. S. 23.

2) Ein Moment, das auch Wirz a. a. 0., S. 100 mit Recht für die Kritik der Überlieferung Sallusts geltend macht.

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Zur Geschichte der antiken Publicistik.

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so entscheidenden Beweis für die Beurteilung der Sprache der Autoren gewähren?1)

Und vollends der Begriff des Archaischen und des Ar- chaismus selbst! Wie wenig lässt sich ihm ein wirklich si- cheres Kriterium für die Beurteilung der Echtheit und der Abfassungszeit unserer Schriften entnehmen ! Die Sprache Sal- lusts selbst ist eine künstliche und gerade wegen ihres ,Hyper- archaismus* schon von den Zeitgenossen angefochten. Asinius Pollio nannte nach Sueton*) seine Schriften geradezu nimia verborum priscorum affectatione oblita. Und zwar tritt diese archaisierende Einseitigkeit um so entschiedener hervor, je jünger Sallust bei der Abfassung der betreffenden Schrift war. Wenn also die Pamphlets in dieser Hinsicht die Ge- schichtswerke Sallusts noch überbieten, so könnte man das viel eher für die Echtheit geltend machen, als für die Un- echtheit, vorausgesetzt, dass nicht ganz untrügliche Anhalts- punkte für die Urheberschaft eines späten archaisierenden Rhetors vorliegen. Und solche sichere Anhaltspunkte fehlen durchaus! Ja nicht einmal das Wesen des Archaismus selbst ist unbestritten! Gar manches, was man Archaismus nennt, stammt einfach aus dem tatsächlichen Sprachgebrauch der Zeit Sallusts und Casars. Und wenn Wölfflin einmal gesagt hat, dass mnn oft besser täte, bei diesen sogen. Archaismen von vulgärem Demokratenlatein zu reden,1) so ist jedenfalls soviel gewiss, dass die an den Pamphlets geübte Wort- und Stil- kritik zum Teil mit ganz unsicheren Begriffen operiert und durch die Sprache des Lebens, wenn sie uns genauer bekannt wäre, oft genug ad absurdum geführt würde.

Aber auch sonst herrscht auf dem Gebiete der Stilkritik eine Willkür, die gebieterisch eine Revision der ganzen Frage

*) Kinige gute Bemerkungen über diesen Punkt enthält schon die Abhandlung von Spandau, der allerdings in denselben methodischen Fehler verfällt, wie Jordan und andere Verfechter der Uneehtheit, in- dem er gewisse .Archaismen' der Pamphlets bei den Fron ton ianern für .unmöglich' erklärt.

*) De granim. 10. *) Vulgärlatein, S. 14G.

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Robert Pöhlmann

fordert. Man sagt, eine ganze Reihe von Worten und Wen- dungen könne unmöglich von Sallust gebraucht sein, weil sie entweder für seine Schreibweise .zu kühn“ oder , ungewöhnlich* seien, weil sie in seinen Geschichtswerken überhaupt nicht Vor- kommen oder in einem anderen Sinne gebraucht sind, als in den Pamphlets, weil sie aus der Vulgärsprache stammen und den .besten Schriftstellern* fremd sind, oder aber, weil sie zwar bei den .besten Schriftstellern', aber nicht in den erhaltenen Werken Sallusts vorkämen, oder endlich, weil sie überhaupt nicht älter seien als Seneca, Quintilian oder Plinius!1)

Dns ttoüjtov yevdoz dieser Logik fallt sofort in die Augen. Das literarische Porträt Sallusts, welches die Grundlage der Vergleichung bietet, ist für sie sozusagen eine konstante Grösse. Dass ein Politiker und Agitator, dem brennender Ehrgeiz, Hass und Leidenschaft die Feder in die Hand drückt, ein Publicist, dessen Rede auf den erregten und gehässigen Ton des politischen Pamphlets und des Parteiklatsches ge- stimmt ist, naturgemäss eine Sprache führen muss, die an .kühnen*, nachlässigen, vulgären Wendungen reicher ist,*) als die Sprache des Geschichtschreibers, der nach Jahren in der friedlichen Stille seiner Gärten über die Dinge der Vergangen- heit schreibt, dieser Gesichtspunkt ist für die übliche Stil- kritik nicht vorhanden. Und was die .Kühnheit* des bildlichen Ausdruckes betrifft, ist nicht gerade die .audacia in translatio- nibus* schon nach dem Urteil der Alten3) recht eigentlich sallustisch? Wer will die genaue Grenze feststellen, wo diese Kühnheit und das Studium verborum fingendi et novandi4) bei ihm ein Ende hatte?1)

') Unter diese Kategorien fallen so ziemlich alle die Beispiele, welche Jordan. S. 23 ff. auffiibrt. Vgl. auch Hartung. S. 21 ff. und Hellwig.

*) Ein sprechendes Beispiel dafür ist I, 4, 4: scorta aut convivia exereuerint. Eine Wendung, die ganz dem Ton der vulgären Partei- polemik entspricht und daher naturgemäss bei dem H i stori ker Sallust sich nicht findet. Vgl. Plautus Ainphitruo, v. 132.

3) Sueton, a. 0., c. 10.

4) Gellius, N. A. IV, 15.

5) Vgl. bei Hellwig, a. 0., S. 7 ff. die Eiste von Worten und Wen-

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Zur Geschichte der antiken Publicistik.

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Es ist ein Grundirrtum unserer Echtheitskritik, wenn sie das, was man einmal als die Reliquien aus dem Schiffbruch der Sallustiana bezeichnet hat, gewissermassen kanonisiert, ohne Rücksicht darauf, dass nicht einmal der Geschicht- schreiber Sallust zur Aufstellung eines solchen einheitlichen Kanons berechtigt. Denn auch in seinen Geschichts werken ist ja eine genetische Entwicklung, eine fortschreitende Ver- vollkommnung, Um- und Weiterbildung von Sprache und Stil so deutlich erkennbar, dass man geradezu gemeint hat, die Historien würden, wenn vollständig erhalten, eine ganze Reihe wesentlicher stilistischer Unterschiede gegenüber dem Cati- lina und Jugurtha erkennen lassen.1) Wenn es endlich richtig ist, dass das älteste Geschichtswerk Sallusts an bewussten Abweichungen vom üblichen Sprachgebrauch reicher ist, als die späteren Schriften Sallusts,2) wie kann da schon der Umstand gegen den sallustischen Ursprung beider Pamphlets sprechen, dass sie, die im Falle der Echtheit eine Reihe von Jahren älter waren, als der Catilina, eine noch grössere Zahl solcher Abweichungen bieten, also gerade das Stilgepräge zeigen, das man aus dem Entwicklungsgang des sallustischen Stiles für seine Erstlingsschriften mit höchster Wahrschein- lichkeit erschliessen müsste?

Würden sich nicht umgekehrt die Pamphlets gerade dann als eine plumpe Fälschung verraten, wenn sie sich sklavisch an die Sprache des Historikers Sallust gehalten hätten?2)

Wenn man wegen derartiger Unterschiede den Pam- phletisten Sallust ohne weiteres als eine Unmöglichkeit er- klärt, so ist das ungefähr ebenso willkürlich, wie wenn man Sallust den Catilina absprechen wollte, weil in dieser Schrift

düngen, die sich gegen Jordans Bedenken sehr wohl als sallustisch hal- ten Hessen.

*) Wölfflin, Philologus, Bd. 25, S. 951. Vgl. zu der Frage Kunze, Sallustiana III (2), S. 301 ff.

*) Teuffel, a. 0., S. 6.

3) Vgl. auch die Bemerkung von Wirz. a. a. 0., S. 111 über ,die unsallustische Sprache' des Verfassers der Invective gegen Cicero.

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Robert Pöhlmann

das Wort ceterum nur dreimal, im Jugurtha dagegen nicht weniger als fünfzigmal vorkommt!

Eine Logik, deren man sich übrigens allen Ernstes be- dient hat, um das erste der beiden Pamphlets als unsallustisch zu erweisen.1) Weil in demselben das Wort ceterum nur ein- mal, im zweiten aber viermal vorkommt, weil Nr. 1 die bei Sallust so gewöhnliche Partikel quippe ,mit einer gewissen Schüchternheit“, wie man meint, nur einmal gebraucht, während sie sich in Nr. 2 viel öfter findet, weil endlich in Nr. 1 tametsi gar nicht, in Nr. 2 aber fünfmal vorkommt, so soll der Verfasser des zweiten Schriftstücks ebenso sicher Sallust sein, wie der des ersten nicht! Schade nur, dass man bei dieser Rechnung ganz übersehen hat, dass die durch ihr häufigeres ceterum u. s. w. als sallustisch legitimierte Schrift auch die weit umfangreichere ist.1)

Übrigens wird die Beweiskraft dieser Wortstatistik schon dadurch zum grössten Teile illusorisch, dass wir das Auftreten und Wiederverschwinden von Worten und zwar keineswegs bloss von ungewöhnlichen und von sogen. Archaismen inner- halb der historischen Schriften Sallusts genau so feststellen können.’) Was kann es überhaupt für eine geschichtliche Auffassung der Dinge thörichteres geben, als diese rein mecha- nische und schablonenhafte Handhabung der Spraehstatistik,4) für welche die einfachsten Prinzipien echter Statistik gar nicht vorhanden sind! Man vergleicht ohne weiteres, was gerade

') So Hellwig, a. 0., S. 12.

*1 Da» Verhältnis ist 4W2 zu 7 ‘/a Seiten (bei Jordan).

3) Wie schon Hellwig, a. 0. mit Recht gegen Jordan geltend ge- macht hat.

*) Damit «oll natürlich der Wert der Spraehstatistik an und für sich in keiner Weise verkannt werden. Aber unwillkürlich denkt man doch angesichts der oben erwähnten Verirrungen an das Wort Rohdes von der .selbstzufriedenen Sekte, welche die Welt und das Altertum nicht für mehr zu halten scheint als ein Additionsexempel, das jeder mit leidlich gesunden Sinnen aus den einzelnen Daten sich zusammen- rechnen könnte“. S. Friedr. Nietzsches Briefwechsel mit Erwin Rohde, 2. Aufl., S. 301.

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Zur Geschichte der antiken Publicistik.

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zufällig an Material vorliegt. Die Frage nach der statisti- schen Beweiskraft dieses Materiales, nach dem quantitativen Verhältnis zwischen dem erhaltenen und dem verlorenen Ver- gleichsmaterial ist für diese Pseudostatistik einfach nicht vor- handen. Wenn sie so glücklich ist, ein Wort oder eine Wendung zu linden, welche wir ausserdem erst bei Seneca, Quintilian oder Plinius konstatieren können, so ist das für sie ohne weiteres ein Beweis späteren Ursprungs. . Als ob wir es nicht mit einem verwüsteten und halbzerstörten Ma- terial zu tun hätten, das uns auf Schritt und Tritt die für die Statistik notwendigen grossen Zahlen vorenthält! Und als ob ein Ausdruck, dem wir jetzt bei diesem oder jenem Autor zufällig zum ersten Mule begegnen, immer auch in dessen Zeit geprägt sein müsste! Ja diese Echtheitskritik ist sogar so genügsam, dass Wendungen der Pamphlets, die in den er- haltenen Schriften Sallusts fehlen, ihm selbst dann ohne wei- teres abgesprochen werden, wenn sie sich noch in der Lite- ratur seiner eigenen Zeit z. B. bei Cicero nachweisen lassen!1)

Noch grössere Triumphe feiert die Methode in der Auf- spürung der in den Pamphlets angeblich enthaltenen litera- rischen Reminiszenzen und Entlehnungen.1) So soll z. B. der im ersten Pamphlet (I, 16) zitierte Gemeinplatz: ,pes- sumus quisque asperrume rectorem patitur* die Kopie eines gleichlautenden Satzes bei Seneca (de ira III, 36, 4) sein und ein weiterer, ebenda (I, 3, 2) sich findender Gemeinplatz ,ue- que quemquam multis metuendum esse, quin ad euin ex multis formido recidat* wird ohne weiteres als offenbare Nachbildung eines Verses des Decimus Liberius bezeichnet: ,necesse est multos timeat, quem multi timent1, obgleich man zugestehen muss, dass dieser Vers möglicherweise auf eine alte Gnome zuriiek- gelit!1) Ja man ist sogar so weit gegangen, die Bemerkung

z. B. additamentutn factionis II, 11, 6. S. Jordan, S. JG.

2) Zur Charakteristik dieser Methode im allgemeinen vgl. die tref- fenden Bemerkungen von Aly, Der Einbruch des Materialismus in die historischen Wissenschaften. Preuss. Jabrb. 1895, Bd. 81, 8. 210 ff.

3) Schenk), a. 0„ S. 669.

14

liobert Pohl wann

I, 8, 1 über den Kontrast zwischen der moralischen Vernach- lässigung des eigenen Innern und der krankhaften Sucht nach einer möglichst pomphaften Ausgestaltung des äusseren Lebens auf die Benützung der Schrift des Apuleius über den Gott des Sokrates zurückzufilhren! l)

Allerdings hat sich diese schlimmste Ausschreitung der l’arallelenjagd nur ein älterer Kritiker erlaubt und die neuere Echtheitskritik gibt wenigstens zu, dass hier die Grenze des blos Möglichen und des wirklich Wissbaren überschritten ist;1) aber auch sie ergeht sich doch mit Vorliebe in Kombinationen, welche diese Grenze fortwährend verwischen. Wenn z. B. der Verfasser der zweiten Schrift (1, 3) seinen Anspruch, über den Staat mitzureden, darauf stützt, dass er sich theoretisch und praktisch um die Kenntnis des Staates aufs Eifrigste bemüht habe, so soll er dabei an die Worte Ciceros de oratore II, 337 gedacht haben ,ad consilium de re publica dandum caput est nosse rem publicam1. Als ob nicht um mit einem modernen Nationalökonomen zu reden ,das nosse rem publicam an der Sch vi eile der Politik stünde1!

Auch für seine Vorschläge im Einzelnen glaubt man zum Teil mit absoluter Sicherheit die betreffenden Vorlagen nach- weisen zu können. So soll er da, wo er für geheime Abstim- mung im Senat plädiert, die Stelle Ciceros de leg. III, 34 im Auge gehabt haben, wo von der Beschränkung der Optimaten- herrschaft durch die lex tabularia die Hede ist.3) Wenn er ferner II, 6 von den Anhängseln der Machthaber redet (addita- menta factionis), so ist auch das wieder eine Frucht der Lektüre Ciceros, eine Reminiszenz an das in der Sestiana § 68 erwähnte ,additamentum inimicorum raeorum1.4) Wenn er von den beneficia populi Romani spricht, welche der gegnerische Konsul Cäsam streitig mache (2, 3), so soll das eine Reminiszenz sein an die praedia populi Romani bei Cicero 2 Verr. 7,1) ebenso wie die

*) Corte zu der Stelle.

*) Jordan, a. 0., S. 12.

3) Hartung, a. O., S. 29. 4) Jordan, S. 26.

r') Ebd. 27. Ala ob nicht auch Cilsar (B. c. I, 9) von dem .populi

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Einführung von Vaterland und Ahnen im 13. c. eine Reminis- zenz an Ciceros 1. Cat. 18 und 27. ‘)

Wenn der Pamphletist ferner Cäsar als Zierde und Ilort der Partei feiert (decus praesidiumque nobis 13, 1), so soll er dabei an das Horazische o et praesidium et dulce decus ttieum gedacht haben,1) ebenso wie I, 5. 9 eine horazische Epode (16) benützt sein soll, weil hier wie dort von Bürgerkrieg und Unter- gang Roms die Rede ist! Wenn es endlich II, 13, 4 von Cäsar heisst, dass die Kunde von seinen Taten die ganze Welt durch- fliegen werde (per gentes onines fauia virtutis tuae volitabit), so muss das natürlich unfehlbar Entlehnung aus Ennius (volito vivus per ora virum) oder aus Vergils Georgien sein (3, 9 victor- que virum volitare per ora)!s)

Mit dieser Methode, die weniger für die Belesenheit des Paiuphletisten, als fiir die seiner Beurteiler beweist, könnte man ebensogut zu Gunsten der Echtheit operieren. Und in der Tat haben es die Verteidiger der letzteren fertig gebracht, Seneca und Apuleius zu Abschreibern des Paiuphletisten zu stempeln und daraus Kapital für die Autorschaft Sallusts zu schlagen!4) Ganz im Sinne einer Methode, die eben nur mit solchen Namen und Schriften zu rechnen weiss, die zufällig überliefert sind.

Korn uni beneticium' und sogar Sallust selbst von den ,beneticia‘ des rö- mischen Volkes sprächen! (Jug, 85, 8 vgl. 4).

') Als ob Sallust. der im .lug. 85, 16 sagt: Ac si ium a patribus Albini aut Bestiae quaeri posset, mene an illos ex se gigni maluerint, quid responsuros creditis, nisi sese liberos quain optumos voluisse? als ob der nicht auch gesagt haben könnte: tjuodsi tecuw patria atque parentes possent loqui, scilicet hoc tibi dicerent: o Caesar, nos te ge- nuimus fortissimi viri etc.

*) Ebd. 5. Dagegen Hellwig, S. 25. Wie nahe die beiden Begriffe liegen, wie wenig es einer poetischen Vermittlung bedurfte, zeigt Ta- citus, Germania 13. 6: in paee decus, in bello praesidium. Vgl. übri- gens auch Uhlund. Herzog Ernst 4, 3: Sie seien Euch im Frieden eine Zier, Im Krieg ein Beistand! Und ganz ähnlich sagt ja kein Ge- ringerer als Sallust selbst (von den afrikanischen Gründungen der Phö- nicier) . . . pars originibus suis praesidio aliae decori fueru!

*) Jordan. S. 6. *) Spandau, S. 14.

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Hohei t Pöhlmann

Übrigens würden die meisten dieser Lesefrüchte, selbst wenn sie wirklich solche wären, für die späte Herkunft der Pamphlets gar nichts beweisen. Denn warum sollte die Kenntnis und gelegentliche Verwertung ciceronischer Schriften für einen Schriftsteller aus der llbergangsepoche von der Republik zur Kaiserzeit etwas Auffallendes haben? Genau dieselbe Kenntnis hat der Pamphletist, der die Invektive gegen Cicero schrieb, und wer wird dieselbe etwa aus diesem Grund für ein spätes Schulerzeugnis halten, trotz der Geschäftigkeit, mit der man auch bei diesem Autor alle möglichen Lesefrüchte aufzulinden gewusst hat?1)

Merkwürdig, dass die Verteidiger der Echtheit nicht auf den naheliegenden Gedanken verfallen sind, in den Pamphlets den etwaigen Spuren derjenigen Literatur nachzugehen, die nachweislich gerade die Schriftstellerei Sallusts beeinflusst haben. Die Beweiskraft der hier sich ergebenden Parallelen ist gewiss nicht schlechter als die Beweiskraft derjenigen, welche für die Unechtheit ins Feld geführt werden. Kein Wunder, dass die Verteidiger der Unechtheit sich instinktiv gehütet haben, ihre Vergleichungen auch auf dieses Gebiet auszudehnen, wo ihr Verfahren sich selbst ad absurdum geführt hätte!

So stellt z. B. das zweite Pamphlet den Satz auf, dass die Auslieferung der Gerichte an eine Oligarchie im Grunde nichts anderes bedeute, als die Alleinherrschaft: ,iudices a paucis probari regnum est‘ (7,11). Warum kann hier dem Verfasser, wenn er so viele andere Reminiszenzen im Kopfe hatte, nicht auch die Stelle des Thukydides vorgeschwebt haben, wo es heisst: J'/'/vrano rvpdwov dvvaarela 6Myo>v ävdowv (3. 62,2)?*) Und wenn er ein andermal die Reflexion anstellt (13, 7), dass der Neid in der Regel die Lebenden verfolgt, mit dem letzten

*) Mit Recht hat die Methode Jordans für diesen Autor zurück- gewiesen Reitzenstein, a. a. 0., S. 99, was auch derjenige zugeben wird, der wie ich dessen positiven Ergebnissen skeptisch gegen übersteht.

2) Wie wenig zwingend ein derartiger Schluss freilich ist, zeigt sich gerade hier, wenn man an Tacitus, Ann. 6, 42 denkt: .paucorum doiuinutio regiae libidini propior est-.

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Lebenshauch aber die Bahn frei wird für die Anerkennung des Verdienstes ,vivos . . . saepe invidia fatigat: ubi aninm naturae cessit, demptis obtrectatoribus ipsa se virtus magis magisque extollit, warum soll er da nicht, falls der üblichen Methode einige Beweiskraft zukommt, an die ganz analogen Hellexionen in der Kranzrede des Demosthenes gedacht haben 815); yäg ovx otdev tüjv nävtatr, ou xoiz uiv £ä>ai nämv vjitoxi tu fj niettuv >j iÄauujv qx}6voz, xovz xeikyewxaz d' ovdi ubv lyßgiüv ovdeiz hi fiioep; oder auch an die berühmten Worte der periklei- schen Leichenrede bei Thukydides: ,<p&ovog yag rot; tütai jioöc to <ii’TUia).ov , de uij Ipmobujv Avxayanelaup evvoia xeriutj- t eu* (II. 45, 1)? Und muss sich das Bild von dem unaufhalt- samen Indiehöhewachsen des Nachruhms für jene Methode nicht wie eine Reminiszenz an den ebenda ausgesprochenen periklei- schen Gedanken ausnehmen, dass der für die Lebenden erreich- bare Ruhm immer etwas hinter dem der Toten Zurückbleiben wird?

Kann es ferner vom Standpunkt dieser Methode aus ein Spiel des Zufalls sein, dass die Charakteristik des staatsmännischen Genies Cäsars bei demselben Pamphle- tisten in ganz auffallender Weise an jene berühmte Thukydideische Charakteristik der politischen Ge- nialität des Themistokles ') erinnert, die bekanntlich von Sybel ohne weiteres auch auf Bismarck übertragen worden ist? Equidem mihi decretum est, sagt der Pamphletist, nihil tarn ex alto repeti posse, quod non cogitanti tibi in promptu sit.1) Was hier an Cäsar gerühmt wird, ist dieselbe Raschheit der Reflexion (jteienje ßgayvxgz), die Thuky- dides an dem genialsten Staatsmann der Griechen her- vorhebt, die sichere Intuition, die im Moment das Richtige zu finden weiss (avxoayedtdCeiy diorrn), auch da, wo für andere die Sache noch im tiefen Dunkel liegt (fv to} AipaveT). Kurz das Bild des Staatsmannes Cäsar bei dem Pamphletisten entspricht genuu demjenigen, welches Thukydides mit den

>) I, 138. *) c. 2, 1.

IM SiUgab. d. philo«. -philol. u. d. hist Kl. ~

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18 Robert Pöhlmnnn

Worten zeichnet: zzhv tf jiagaygijua di' iXaytoztjs ßovkfj g y.on- ziazos yvMfiürv xai zwv fiek/.ovzmv im jzXeTozvv r ov yevtjooftevov ngioTOQ elxaazrjs.

Aber auch im ersten Pamphlet fehlen solche Anklänge an Thukydides nicht. Wie dem Geschichtsschreiber Athens wieder- holt der Gedanke an den Untergang oder Verfall des Staates sich aufdrängt im Hinblick auf das allem Irdischen inne- wohnende Gesetz der Vergänglichkeit: ndrra ydg niipvxe xai IXaaaova&ai (II, 64, 3), so finden wir auch hier (c. 5, 2) einen Hinweis auf die Zeit, in der das Geschick Roms sich erfüllen könnte,1) und die ganz analoge Begründung: ,orta omnia in- tereunt*. Ebenso hat die berühmte psychologische Analyse der Ursachen des Verfalles und der Auflösung der hellenischen Staatenwelt ihr Seitenstück an der Stelle desselben Pamphlets, wo die Zeitmode der Umwertung aller sittlichen Werte ganz ähnlich, wie bei Thukydides gegeisselt wird.

Man vgl. nur I, 5, 5 is incessit mos, ut homines

adulescentuli . . . nihil libidinei atque aliis rogantibus dene- gare pulchenimuin putent, eam virtutem et magnitudinem animi, pudorem atque modestiam pro socordia aestimenf mit Thukydides III, 82, 3 xai n] y etwih'Iav ä$iu>oiv zü>v övo- fiäziov is za eoya dvzirjL \a!-av rjj ätxauooet ' zd/./ia /xkv ydg dXdytazo; dvögla tpiXezaigos ivofitoih] , . . . de oüxpgov zov äyuvdgov xgöoyij/ua xai zo jzqös ujzav (i >vezdv im nüv dßyov.

Auch die schon von dem alten Corte angenommene Be- nützung des Aristoteles könnte die übliche Echtheitskritik nicht leugnen, wenn sie den Satz des ersten Pamphlets (6, 2) ,Sa- pientes pacis causa bellum gerunt, laborem spe otii sustentant* vergleichen würde mit Politik IV, 15 § 16 (1334 a) ,zeXo; yäg . . . elgt/vt] füv noXeuov, oyoXi] <5 doyo/.ias1. Jedenfalls läge diese Stelle inhaltlich näher, als etwa Cicero de off. 1, 11: quare

') Ein Hinweis, der übrigens ganz dem Geiste eines Jahrhunderts entspricht, in dem wie Zielinski einmal treffend gesagt hat die Frage, ob Weltuntergang oder Weltverjüngung? ,die quälende Frage

Korns' war.

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suscipiemln quidem btdla sunt ob eam causam, ut sine iniuria in pace vivatur.

Sollen wir angesichts dieser vom Standpunkt der herr- schenden Methode kaum zu leugnenden Anlehnungen an die Griechen, besonders an Thukydides und Demosthenes, annehmen, dass ein Rhetor oder Rhetorenschüler, der in seinem Quintilian gelesen hatte ,ex grueca translata vel Sallusti plurima1,1) im Hinblick auf das Verhältnis seines Vorbildes zu Thukydides und Demosthenes diese letzteren nach Phrasen und Reflexionen durchstöbert hat, um durch eine thukydideische oder demosthe- nische Färbung den Eindruck der Echtheit seines Elaborates zu erhöhen?

Die Annahme ist möglich. Aber sie drängt uns freilich auch sofort die weitere Frage auf: Kann ein Autor, der so systematisch vorgeht, um die schriftstellerische Individualität eines Andern getreu nachzuschailen, wirklich so nichtig ge- wesen sein, wie es die herrschende Anschauungsweise behauptet? Und andererseits! Warum sollte nicht auch der Schluss zu- lässig sein, dass ein so geschickter Nachahmer thukydideiscli- demosthenischer Gedanken, wie ihn die Methode wenigstens in dem zweiten Pamphletisten sehen müsste, möglicherweise doch mit dem Geschichtschreiber identisch ist? Denn die Anlehnung an diese beiden Griechen, insbesondere an Thukydides ist ja recht eigentlich für Sallust charakteristisch. Man denke nur von allem Anderen ganz abgesehen an den bedeutsamen Hinweis auf die perikleische Leichenrede, wie er sich im Ca- tilina findet!* *)

Ja man könnte für die Schlussfolgerung, dass in den oben angeführten Reflexionen Sallust, der Kenner des Thukydides

') IX, 3, 17. Vgl. Dolega, De Sallustio imitatore Thucydidis De- moBthenis aliorumque scriptorum Graecorum. Vratislaviae 1671.

*) S. 8, 3 über die magna ingenia scriptorum, denen Athen seinen Ruhm wesentlich mit verdanke: ita . . . virtus tanta habetur, quantuin eam verbis potuere extollere praeclara ingenia. Über die Benützung der Leichenrede in den Schriften Sallusts vgl. Möllmann, IjuutenuH Sallust ins so ml exeuipluin Graecorum confonnaverit, S. (5 tf

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lioberl Pöhlmann

zu uns spricht, eine Bestätigung in dessen eigenen Werken finden, wo ja ganz ähnliche Gedanken wiederkehren. Man denke an die Äusserung im Iugurtha 2, 3 über die Vergäng- lichkeit alles Gewordenen: ,Omnia orta occidunt* und im Ca- tilina 12, 2 über die sophistische Umprägung der sittlichen Begriffe. *)

Nun sind freilich andererseits die Anklänge, welche sich in sprachlichen Wendungen und Gedanken zwischen den histo- rischen Schriften Sallusts und den Pamphlets ergeben, ein Hauptargument für diejenigen, welche in den Pamphlets ledig- lich sklavische Nachahmungen Sallusts sehen. Man geht ja nicht mehr soweit wie jener alte Herausgeber, der durch seine geradezu kindische Jagd nach Parallelen zwischen den Pam- phlets und den historischen Sallustiana unfreiwillig eine köst- liche Satire auf die ganze Methode geliefert hat. Aber der Geist dieses Pendantismus ist doch noch lange nicht über- wunden. Und nur zu Vieles hat sich auch noch in die mo- derne Echtheitskritik hinübergerettet, was bedenklich an den alten Corte erinnert!

Dass sich die Pamphlets, vorausgesetzt, dass sie beide nicht sallustisch sind, vielfach in bewusster Weise an Sal- lust anlehnen, soll ja nicht bestritten werden, aber es lässt sich doch leicht nachweisen, dass die neuere Kritik durch ihre einseitige mechanische Behandlungsweise des Problems, welche den oder die Verfasser der Pamphlets förmlich zu .Affen Sal- lusts1 stempelt, jenen Sachverhalt masslos übertrieben und da- durch eine unbefangene literarische Würdigung der Pamphlets, sowie die Erkenntnis ihres historischen Wertes unmöglich ge- macht hat.

So soll z. B. der Verfasser des zweiten Pamphlets an der Stelle, wo er von der Schwierigkeit spricht, Fürsten und Feld- herrn zu beraten (1, 1), nur an den 3. § des 2. Kapitels des Catilina gedacht haben können, weil auch hier von reges und imperatores die Bede ist.1) Wenn er ferner von dem Volke

') V^l. auch die Rede des Lepidus in den Historien § 24.

!) Jordan, S. 3.

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spricht, das einst einer Welt geboten und jetzt von seiner Ackerscholle vertrieben, durch Arbeitslosigkeit und Hunger zu einer unsteten Existenz verurteilt sei (,sed ubi eos paulatim expulsos agris inertia atque inopia incertas domos habere sub- egit, coepere alienas opes petere, libertatem suam cum re pu- plica venalem habere.* 5, 4), so soll die eine Hälfte dieses Satzes auf bewusster Anlehnung an eine Stelle der Rede des Lepidus in Sallusts Historien § 24 beruhen, wo, freilich in ganz anderem Zusammenhang, auch von der expulsa agris plebes die Rede ist, und die andere Hälfte soll die Kopie einer anderen Stelle derselben Rede sein 11), wo es von dem rö- mischen Volke heisst: .populus Romanus paulo ante gentium moderator exutus imperio gloria iure agitandi inops despectus- que ne servilia quidem alimenta reliqua habet.“)

Als ob ein Schriftsteller, der so ganz und gar aus dem Geiste der Zeit heraus zu schreiben weiss, wie dieser Pam- phletist, es nötig gehabt hätte, die Worte für die Charakte- ristik des die Revolutionsepoche beherrschenden schneidenden Widerspruches zwischen der formalen Rechtsstellung des Bürgers und seiner wirtschaftlichen Lage mühselig aus verschiedenen, weit voneinander getrennten Sätzchen jener Rede zusammenzusuchen, um einem Gedanken Ausdruck zu geben, der längst zu einem populären Schlagwort geworden war, seitdem Tiberius Gracchus von den Herren der Welt ge- sprochen, die auch nicht eine Scholle ihr eigen nennen könnten! Man vergisst bei dieser Annahme die bedeutsame Tatsache, dass wir es hier mit einem Manne zu tun haben, der bei